Regina Stiegeler

Texte

Michael Freitag

Verlaufsformen der Durchlässigkeit
Fotografiken von Regina Stiegeler

Selten begegnet man der Stille von Arbeiten, die nichts als sie selbst sein wollen. Kein neuester Schrei, keine Intervention, kein Beitrag zur Diskurspflege zugespitzter Behauptungsfragen, einfach nur Blätter von subtiler Stimmigkeit, mit Umsicht geplant, mit Sorgfalt umgesetzt, mit der Sanftheit handwerklicher Bewusstheit ausgearbeitet – wie diese zu Photogravuren umgeschmolzenen Fotogramme.

Licht ist hier der Ausgangspunkt von allem, selbst in den begrifflichen Unterordnungen noch: Vom Lichtbild, das sich einem lichtempfindlichen Bildträger verdankt, bis zur Heliogravüre, die auch Sonnendruck genannt wird. Der mediale Quantensprung zwischen fotografischem und grafischem Bild wird durch die Begriffsnähe jedoch verdeckt. Denn die Licht-Schatten-Modulation des Ausgangsbildes kommt bei der Übertragung auf die Druckplatte als Schwarz-Weiß- Zeichnung wieder zu sich. Die Schattenbereiche des unterbrochenen Lichtstrahls entrinnen zu übergangslosen Halbtönen, oder, wenn man so will: Die Zonen abnehmender Lichtintensität emanzipieren sich in die Graustufen des Drucks.

Die physische Bilderzeugung korreliert also mit einem metaphysischen, im Kunstdenken „abstrakt“ genannten Bilddenken, für das gerade ein Fotogramm ideale Voraussetzungen bietet. Es ermöglicht Abdrücke von Gegenständen oder gegenständlichen Vorkommnissen ohne das Zwischenschalten von Linse und Objektiv, aber auch ohne die Absicht, den Objekten ein Abbild zu verschaffen. Stattdessen etablieren sich freie Strukturen in lockeren Rhythmen. Es entsteht eine Matrix von etwas, das als Objekt einmal aufgelegt und dann zur Disposition gestellt wurde wie man eine Frage aufwirft.

Was zum Vorschein kommt, ist eine Lichtgestaltung, deren abgewendete Spur im Schatten die Erinnerung an etwas Gewesenes, vielmehr noch: die Erinnerung an eine Berührung bewahrt, wie die Künstlerin sagt. Entscheidender aber ist sicher noch, dass hier auf leisen Sohlen und im kleinsten Format eine komplexe Anlage geistiger Entscheidungen ausgebreitet wird, die auf glückliche Weise reine Bilder erzeugen. Dadurch wird alles vermieden, was ihnen gewöhnlich als Bedeutungsgrund angetragen wird, sobald es um einen fotografischen Ausgangspunkt geht: Es gibt keine Widerspiegelungstheorie, keine Apparatediskussion, kein Objektivitätsbestreben, keine Wirklichkeitsverheißung, nichts Dokumentarisches, keinen Kunstbeweis, keine geniale Interpretation optischer oder visueller Vorfälle. Nirgendwo lassen sich auch Implikationen aus der sozialen Verweissphäre eintragen. Es gibt nur das Licht, das im Helldunkel eines raffinierten Tiefdruckverfahrens wieder ausgelöscht wird.

Die verwendeten Techniken sind so alt wie das Medium selbst. Ihr Zusammenführen auch. Aber hier, bei Regina Stiegeler, bekommt das Fotogramm in der Photogravure den Charme einer überraschenden Daseinsfülle. Sie manifestiert sich als gebundene Mitteilungsform, die aus der Tiefe ihres Ursprungs zwischen Scherenschnitt, Selbstabdruck und Aquatinta-Radierung alle Register zieht. Weiche malerische Effekte verschwistern sich mit filigranen Ausschlägen von Zufallsbildungen. In den Übergangsmodulationen zwischen Bild und Bild, zwischen Licht und Schatten, zwischen Auftrag und Abtrag entsteht so die reiche Choreografie des Blatts, das zum Ereignis einer technisch vielfachen Umwidmung avanciert: Die Chemie der Lichtempfindlichkeit dehnt sich aus in eine Alchemie grafischer Ausdrucksformen, die überall hin erweiterbar ist, auch in die Bereiche koloristischer Entfaltung.

Dafür wurde ein weiteres Druckverfahren ausgewählt, der Siebdruck. Dem Begriff des Durchdrucks, wie man den Siebdruck auch nennt, eignet hier fast ein Sinnbildcharakter, weil die Blätter sowieso als Bildkörper einer vielschichten Transparenz, als Verlaufsform der Durchlässigkeit ihres medialen Herkommens, als Emanation des Durchscheinens einer eigenen Technikgeschichte zu sich kommen. Unaufgeregt, still eben, und, ich wage es hinzuschreiben – schön. Denn die kleine Suite von 24 Drucken verbindet etwas, das auch in der Grafik selten geworden ist: Erlesene Technik mit komplexen Wirkungspotenzialen im anspruchslosen Dasein einer offenen Sprachpoesie.

 

Michael Freitag, Direktor der Lyonel- Feininger- Galerie

Quedlinburg, den 07. Februar 2016

 

Lyonel-Feininger-Galerie
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Dieser Text ist entstanden zu meinen Fotogramm- Photogravuren
anlässlich eines Begleitkatalogs zur Ausstellung Schatten wie Töne, München 2016.
Vielen Dank an Michael Freitag.